Direkt zum Hauptbereich

Posts

Es werden Posts vom 2025 angezeigt.

Fiktiver Dialog: Safety-I trifft Safety-II – Vier Perspektiven auf Sicherheit

In einem imaginären Konferenzraum treffen sich vier Fachleute – ein Pilot, ein Mitarbeiter eines Kernkraftwerks, ein Chemieingenieur und ein Psychologe – zu einer Diskussionsrunde über Safety-I und Safety-II. Die Debatte beginnt angeregt: Pilot: „Also ich komme aus der klassischen Safety-I-Welt. Sicherheit bedeutet für uns: Fehler vermeiden, Zwischenfälle analysieren und Maßnahmen ergreifen, um Wiederholungen zu verhindern. Alles ist darauf ausgelegt, Risiken zu kontrollieren.“ Kernkraftwerksmitarbeiter: „Das ist bei uns nicht anders. Unser gesamtes System basiert auf dem Prinzip: Wenn nichts passiert, ist das gut. Jede Abweichung ist ein potenzielles Risiko. Wir leben von Prävention, Redundanz und dem Worst-Case-Denken.“ Chemieingenieur: „Stimmt – bei uns gibt es kaum Spielraum für Experimente. Unsere Sicherheitsphilosophie basiert auf dem Ausschluss von Variabilität. Der Gedanke, dass Menschen kreativ mit Problemen umgehen, ist uns eher suspekt. Die Prozesse müssen laufen, wie ...

Der Broken-Windows-Effekt – Wie Unordnung das Verhalten formt

Der Broken-Windows-Effekt beschreibt das sozialpsychologische Phänomen, dass bereits geringfügige Anzeichen von Verwahrlosung oder Normverletzung in der Umwelt – wie z. B. zerbrochene Fensterscheiben, Graffiti oder Müll – das Verhalten von Menschen nachhaltig beeinflussen und weitere Regelverstöße begünstigen. Die Metapher geht auf eine Hypothese von Wilson und Kelling (1982) zurück, die später in empirischen Studien von Kees Keizer und Kolleg:innen an der Universität Groningen überprüft und bestätigt wurde (Keizer, Lindenberg & Steg, 2008). Im Kern beschreibt der Effekt einen kognitiven Rückkopplungsprozess : Sichtbare Zeichen von Regelverstößen signalisieren, dass soziale Normen in einem bestimmten Raum nicht durchgesetzt werden – was wiederum die Bereitschaft erhöht, selbst gegen Regeln zu verstoßen. In einem der bekanntesten Experimente der niederländischen Forschungsgruppe wurde ein Briefkasten untersucht: Sobald Graffiti in der Umgebung zu sehen waren, stieg die Wahrscheinli...

Endurance. Terra Nova. Fram. Drei Schiffe – Drei Führungsstile – Eine Psychologie der Extremsituation

Ein psychologischer Vergleich dreier historischer Antarktisexpeditionen – Ernest Shackleton, Robert Falcon Scott und Roald Amundsen – bietet ein ebenso dramatisches wie instruktives Tableau für Führungsverhalten unter extremen Bedingungen. Jede dieser Expeditionen spiegelt unterschiedliche Persönlichkeiten, Zielsetzungen, Führungsstile und psychologische Dynamiken wider. Sie zeigen, wie Teamführung, Entscheidungsverhalten, Risikomanagement und mentale Resilienz über Leben und Tod entscheiden können – und werfen damit auch die Frage auf, wie heutige Technologien wie Künstliche Intelligenz in vergleichbaren Lagen unterstützen oder scheitern könnten. Ernest Shackleton – Die Endurance -Expedition (1914–1917) Vita & Ziel: Shackleton, britischer Polarforscher mit Charisma und großem Ruf, hatte bereits an früheren Expeditionen teilgenommen. Ziel war die erste Durchquerung des antarktischen Kontinents. Rahmenbedingungen & Verlauf: Das Schiff Endurance fror im Weddellmeer ein und ...

Psychologische Anforderungen an die Mensch-Maschine-Interaktion im Lichte der neuen EU-Maschinenverordnung (Verordnung (EU) 2023/1230)

Die neue EU-Maschinenverordnung (Verordnung (EU) 2023/1230) markiert einen Paradigmenwechsel in der sicherheitsgerichteten Regulierung technischer Systeme. Erstmals wird der psychologischen Dimension der Mensch-Maschine-Interaktion in einem europäisch verbindlichen Rechtsrahmen explizit Rechnung getragen. Dies betrifft insbesondere KI-gestützte, adaptive oder autonome Maschinen, deren Verhalten nicht nur deterministisch, sondern kontextsensitiv und lernfähig ist. Die Verordnung tritt am 20. Januar 2027 in Kraft und ersetzt die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Anders als ihr Vorgänger hat sie unmittelbare Gültigkeit in allen EU-Mitgliedstaaten und verpflichtet Hersteller, Inverkehrbringer und Betreiber gleichermaßen. Neben klassischen Aspekten wie CE-Kennzeichnung, Konformitätsbewertung und Gefährdungsanalyse rückt sie neue Felder in den Fokus: digitale Betriebsanleitungen, sicherheitskritische Software, KI-basierte Entscheidungsunterstützung sowie Cybersecurity. Zentral ist dabei die ...

Douglas Adams’ humorvolle „Three Rules for Technology“

Douglas Adams’ humorvolle „Three Rules for Technology“ bieten einen tiefgründigen Einblick in die psychologischen Mechanismen der Technikakzeptanz. Diese Regeln beschreiben, wie Menschen Technologien je nach ihrem Alter unterschiedlich wahrnehmen: Alles, was bei der Geburt existiert, wird als normal und selbstverständlich angesehen. Technologien, die zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr entstehen, gelten als aufregend und revolutionär. Alles, was nach dem 35. Lebensjahr erfunden wird, wird als unnatürlich empfunden. Diese Beobachtungen spiegeln sich in der Einführung des Mobilfunks wider. In den 1990er Jahren wurde Mobilfunk zunächst mit Skepsis betrachtet, insbesondere wegen gesundheitlicher Bedenken hinsichtlich elektromagnetischer Felder. Medienberichte über mögliche Gesundheitsrisiken und Proteste gegen Mobilfunkmasten waren weit verbreitet. Mit der Zeit jedoch wurde Mobilfunk in den Alltag integriert und als selbstverständlich akzeptiert, insbesondere von jüngeren Gene...

Gefühlte Risiken – Wie kulturelle Deutungsmuster unsere Technikakzeptanz prägen: Warum manche Technologien gehypt, andere demonisiert werden

Die Einführung neuer Technologien ist nicht nur ein technischer oder wirtschaftlicher Vorgang, sondern stets auch ein psychologischer und kultureller Prozess. Ob eine Technologie als vielversprechender Fortschritt oder bedrohlicher Eingriff wahrgenommen wird, hängt dabei weniger von objektiven Risikodaten als vielmehr von individuellen Deutungsmustern und kollektiven Wahrnehmungen ab. Diese „gefühlten Risiken“ beeinflussen maßgeblich die öffentliche Akzeptanz und können sich selbst in hochentwickelten Gesellschaften dramatisch unterscheiden – wie die Beispiele Mobilfunk und Kernenergie eindrucksvoll belegen. Psychologisch gesehen unterliegt die menschliche Risikowahrnehmung kognitiven Verzerrungen, wie sie in der Risikoforschung vielfach belegt sind (Slovic, 1987; Fischhoff et al., 1978). Menschen tendieren dazu, Risiken als bedrohlicher einzuschätzen, wenn sie neu, unsichtbar oder fremdbestimmt erscheinen – Merkmale, die viele moderne Technologien erfüllen. Hinzu kommt eine affektive ...

Echokammern, Filterblasen und Rabbit Holes: Psychologische Mechanismen, empirische Evidenz und gesellschaftliche Implikationen

Im öffentlichen Diskurs rund um digitale Medien sind Begriffe wie Echokammern, Filterblasen und Rabbit Holes allgegenwärtig geworden. Sie beschreiben unterschiedliche, teils überlappende Phänomene, die die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen Informationen aufnehmen, interpretieren und weitergeben. Aus psychologischer Sicht verspricht ihre Untersuchung ein vertieftes Verständnis dafür, wie individuelle Kognitionen mit digitalen Algorithmen und sozialen Dynamiken interagieren. Doch so plausibel die Konzepte erscheinen mögen, so notwendig ist eine differenzierte Betrachtung ihrer wissenschaftlichen Fundierung. Echokammern verweisen auf kommunikative Räume, in denen homogene Meinungen dominieren und abweichende Perspektiven systematisch ausgeblendet werden. Aus sozialpsychologischer Sicht werden Echokammern durch Prozesse wie Gruppenkohäsion, soziale Identifikation und normative Konformität verstärkt (Tajfel & Turner, 1986; Postmes et al., 2005). Empirische Studien zeigen, dass in...

Psychologie der Echsenmenschen Verschwörungstheorie

Der Begriff „Echsenmenschen“ oder „Reptiloide“ bezeichnet ein populäres Motiv aus Verschwörungstheorien , das keinerlei wissenschaftliche Grundlage hat. Es handelt sich dabei um angeblich humanoide Wesen mit reptilienartigen Merkmalen, die in manchen Erzählungen als außerirdischen Ursprungs oder als uralte, unterirdisch lebende Spezies dargestellt werden. Die Grundidee ist, dass diese Wesen angeblich seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden im Geheimen die Geschicke der Menschheit lenken – vor allem durch die Infiltration von Regierungen, Medien oder Großkonzernen. Ursprung der Vorstellung Die moderne Version dieser Verschwörungstheorie geht maßgeblich auf David Icke zurück, einen britischen Autor und ehemaligen Sportreporter, der seit den 1990er-Jahren behauptet, dass eine außerirdische Rasse von reptiloiden Wesen – die er als Teil einer „babylonischen Bruderschaft“ bezeichnet – die Welt kontrolliere. Laut Icke sollen viele prominente Persönlichkeiten, darunter Mitglieder von Königshä...

New Leadership: Führung in digitalen Zeiten – Wie Digitalisierung, KI und Führung psychologisch zusammenspielen

Die digitale Transformation stellt nicht nur technische Systeme, sondern auch Menschen in Organisationen vor tiefgreifende Veränderungen. Dabei treten Digitalisierung, künstliche Intelligenz (KI) und neue Führungsstile nicht unabhängig voneinander auf, sondern bedingen sich gegenseitig. Aus psychologischer Perspektive ergeben sich dabei Chancen, aber auch Risiken, die nicht zuletzt von der Art der Führung beeinflusst werden. Digitale Technologien und KI-Systeme verändern die Arbeitswelt grundlegend – durch Automatisierung, datengetriebene Entscheidungen und neuartige Formen der Zusammenarbeit. Zugleich wird von Führungskräften erwartet, dass sie flexibel, partizipativ und werteorientiert führen. Dieses sogenannte „New Leadership“ umfasst unter anderem transformationale und agile Führungsansätze, die auf Vertrauen, Sinnstiftung und Selbstorganisation setzen (Bass & Riggio, 2006; Yukl, 2013). Damit reagiert New Leadership auf einen psychologischen Grundmechanismus: Menschen akzepti...

Der Benjamin-Franklin-Effekt – Warum Gefallen nicht nur verbinden, sondern überzeugen

Der Benjamin-Franklin-Effekt beschreibt die paradoxe psychologische Beobachtung, dass wir Menschen sympathischer finden, nachdem wir ihnen einen Gefallen erwiesen haben – nicht umgekehrt. Der Effekt widerspricht der Intuition, dass wir anderen nur dann helfen, wenn wir sie mögen. Stattdessen ändern wir unser Selbstbild und unsere Einstellung gegenüber der Person, um unser Verhalten nachträglich zu rechtfertigen. Der Effekt basiert auf Theorien der kognitiven Dissonanz und ist sowohl historisch belegt als auch empirisch gut untersucht. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Ursprünge, psychologischen Mechanismen und praktischen Anwendungen – von der Politik bis zum Teamwork. Historischer Ursprung Der Effekt geht auf eine Anekdote des amerikanischen Politikers und Erfinders Benjamin Franklin zurück. In seiner Autobiografie beschreibt er, wie er einen politischen Gegner für sich gewann, indem er ihn um das Ausleihen eines seltenen Buches bat . Nachdem dieser dem Wunsch entsprach, ent...

Der Begründungs-Effekt: Warum das Wörtchen „weil“ unsere Entscheidungen beeinflusst

Der Begründungs-Effekt beschreibt ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen dazu neigen, Aufforderungen eher nachzukommen, wenn eine Begründung folgt – unabhängig von deren inhaltlicher Qualität. Der Effekt wurde durch Ellen Langer und Robert Cialdini beschrieben und liefert faszinierende Einsichten für Kommunikation, Führung, Marketing und Verhaltenspsychologie. Der vorliegende Beitrag erläutert die experimentellen Grundlagen, psychologischen Mechanismen und praktischen Implikationen. Warum machen Menschen das, was man ihnen sagt? Eine erstaunlich einfache Antwort darauf lautet: weil man es begründet . Ob logisch oder nicht – das Wort „weil“ wirkt wie ein Schalter im Kopf. Diese Erkenntnis geht auf ein klassisches Experiment der Harvard-Psychologin Ellen Langer zurück und wurde später von Robert Cialdini im Kontext der „Weapons of Influence“ popularisiert. Das Ergebnis: Schon eine pseudo-rationale Begründung kann die Zustimmung zu einer Bitte signifikant erhöhen. Klassische...

Die Psychologie des Maker Space: Kreative Räume als Spiegel menschlicher Motivation, Kognition und sozialer Dynamik

Maker Spaces – also offene Werkstätten für gemeinsames Tüfteln, Gestalten und Experimentieren – sind weit mehr als technikaffine Bastelräume. Sie sind psychologisch hochwirksame Umgebungen, die eine Vielzahl grundlegender menschlicher Bedürfnisse ansprechen und dabei das Zusammenspiel von Motivation, Kognition, Identitätsentwicklung und sozialer Interaktion auf besondere Weise verdichten. Die psychologische Betrachtung solcher Räume eröffnet daher interessante Perspektiven für Bildung, Innovation, Empowerment und sogar therapeutische Intervention. Aus motivationspsychologischer Sicht sprechen Maker Spaces das Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit an – die drei zentralen Grundbedürfnisse der Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan (2000). Nutzerinnen und Nutzer erleben Selbstwirksamkeit durch die greifbare Umsetzung eigener Ideen, sie lernen im Flow (Csikszentmihalyi, 1990) und wachsen durch Rückschläge und Erfolge gleichermaßen. Der „Prototyp“ wird zum p...

Schutzhelm trifft Kontrollraum – Warum integrierte Sicherheit mehr ist als die Summe technischer Maßnahmen

Sicherheitsmanagement in industriellen Prozessen wird häufig dual gedacht: auf der einen Seite der technische Schutz von Anlagen, auf der anderen Seite der gesundheitliche Schutz von Mitarbeitenden. Diese Trennung mag historisch gewachsen und regulatorisch nachvollziehbar sein, sie steht jedoch einer ganzheitlichen Sicherheitskultur im Weg. Der vorliegende Beitrag diskutiert die strukturellen Ursachen dieser Fragmentierung, beleuchtet psychologische Implikationen und zeigt Wege zur Integration auf Basis von Human-Factors-Prinzipien und ergonomischer Systemgestaltung.   Strukturelle Fragmentierung: Zwei Systeme, ein Ziel – aber getrennte Wege Daten zu tödlichen und schweren Unfällen in Deutschland und der EU zeigen, dass sowohl im Bereich der Anlagensicherheit als auch im Arbeitsschutz signifikante Risiken bestehen. Dennoch sind Zuständigkeiten oft getrennt: Anlagensicherheit liegt in der Verantwortung technischer Abteilungen, Arbeitsschutz bei übergeordneten Stabsstellen. Diese in...