In einem imaginären Konferenzraum treffen sich vier Fachleute – ein Pilot, ein Mitarbeiter eines Kernkraftwerks, ein Chemieingenieur und ein Psychologe – zu einer Diskussionsrunde über Safety-I und Safety-II. Die Debatte beginnt angeregt: Pilot: „Also ich komme aus der klassischen Safety-I-Welt. Sicherheit bedeutet für uns: Fehler vermeiden, Zwischenfälle analysieren und Maßnahmen ergreifen, um Wiederholungen zu verhindern. Alles ist darauf ausgelegt, Risiken zu kontrollieren.“ Kernkraftwerksmitarbeiter: „Das ist bei uns nicht anders. Unser gesamtes System basiert auf dem Prinzip: Wenn nichts passiert, ist das gut. Jede Abweichung ist ein potenzielles Risiko. Wir leben von Prävention, Redundanz und dem Worst-Case-Denken.“ Chemieingenieur: „Stimmt – bei uns gibt es kaum Spielraum für Experimente. Unsere Sicherheitsphilosophie basiert auf dem Ausschluss von Variabilität. Der Gedanke, dass Menschen kreativ mit Problemen umgehen, ist uns eher suspekt. Die Prozesse müssen laufen, wie ...
Der Broken-Windows-Effekt beschreibt das sozialpsychologische Phänomen, dass bereits geringfügige Anzeichen von Verwahrlosung oder Normverletzung in der Umwelt – wie z. B. zerbrochene Fensterscheiben, Graffiti oder Müll – das Verhalten von Menschen nachhaltig beeinflussen und weitere Regelverstöße begünstigen. Die Metapher geht auf eine Hypothese von Wilson und Kelling (1982) zurück, die später in empirischen Studien von Kees Keizer und Kolleg:innen an der Universität Groningen überprüft und bestätigt wurde (Keizer, Lindenberg & Steg, 2008). Im Kern beschreibt der Effekt einen kognitiven Rückkopplungsprozess : Sichtbare Zeichen von Regelverstößen signalisieren, dass soziale Normen in einem bestimmten Raum nicht durchgesetzt werden – was wiederum die Bereitschaft erhöht, selbst gegen Regeln zu verstoßen. In einem der bekanntesten Experimente der niederländischen Forschungsgruppe wurde ein Briefkasten untersucht: Sobald Graffiti in der Umgebung zu sehen waren, stieg die Wahrscheinli...