Der Broken-Windows-Effekt beschreibt das sozialpsychologische Phänomen, dass bereits geringfügige Anzeichen von Verwahrlosung oder Normverletzung in der Umwelt – wie z. B. zerbrochene Fensterscheiben, Graffiti oder Müll – das Verhalten von Menschen nachhaltig beeinflussen und weitere Regelverstöße begünstigen. Die Metapher geht auf eine Hypothese von Wilson und Kelling (1982) zurück, die später in empirischen Studien von Kees Keizer und Kolleg:innen an der Universität Groningen überprüft und bestätigt wurde (Keizer, Lindenberg & Steg, 2008).
Im Kern beschreibt der Effekt einen kognitiven Rückkopplungsprozess: Sichtbare Zeichen von Regelverstößen signalisieren, dass soziale Normen in einem bestimmten Raum nicht durchgesetzt werden – was wiederum die Bereitschaft erhöht, selbst gegen Regeln zu verstoßen. In einem der bekanntesten Experimente der niederländischen Forschungsgruppe wurde ein Briefkasten untersucht: Sobald Graffiti in der Umgebung zu sehen waren, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass Passanten einen daneben liegenden Brief achtlos zu Boden warfen, anstatt ihn einzuwerfen. Der bloße Anblick von Unordnung genügte, um sozial erwünschtes Verhalten zu unterdrücken.
Psychologisch lässt sich der Effekt auf Heuristiken der sozialen Orientierung zurückführen. Menschen bewerten Situationen oft nicht abstrakt, sondern leiten aus der Umgebung ab, was „normal“ ist. Diese Wahrnehmung wiederum beeinflusst ihre Handlungsmotivation. So kann eine zerbrochene Scheibe – symbolisch gesehen – als Einladung zur Grenzverschiebung dienen: Was nicht gepflegt wird, scheint niemandem wichtig zu sein.
Der Broken-Windows-Effekt entfaltet damit nicht nur ästhetische oder ordnungspolitische Relevanz, sondern hat tiefgreifende verhaltenssteuernde Wirkung. Er wurde vielfach im Kontext von Stadtentwicklung, Kriminalprävention und sozialem Verhalten diskutiert – aber auch auf Organisationen übertragbar. Etwa wenn fehlende Wartung, lockerer Umgang mit Sicherheitsvorschriften oder nachlässige Kommunikation eine Unternehmenskultur der Gleichgültigkeit fördern.
Kritisch zu reflektieren ist jedoch, dass der Effekt in politischen Kontexten (etwa in der „Zero Tolerance“-Strategie von New York) auch zur Rechtfertigung autoritärer Maßnahmen herangezogen wurde. Eine differenzierte Anwendung sollte den sozialen Kontext und die Zielgruppen stets mitdenken und vor allem den Fokus auf Prävention durch Pflege und Wertschätzung statt auf reine Sanktion legen.
Quellen:
Keizer, K., Lindenberg, S., & Steg, L. (2008). The spreading of disorder. Science, 322(5908), 1681–1685. https://doi.org/10.1126/science.1161405
Wilson, J. Q., & Kelling, G. L. (1982). Broken windows: The police and neighborhood safety. The Atlantic Monthly, 249(3), 29–38.