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Es werden Posts vom 2025 angezeigt.

Posttraumatische Belastungsstörung: Entstehung, Behandlung, berufsbezogene Besonderheiten und neue Technologien

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) definiert als ein Syndrom, das nach der Exposition gegenüber einem extrem bedrohlichen oder schrecklichen Ereignis entsteht. Typisch sind das Wiedererleben des Traumas in Form von belastenden Erinnerungen, Albträumen oder Flashbacks, das anhaltende Vermeiden traumaassoziierter Gedanken, Gefühle und Situationen sowie ein anhaltendes Gefühl von aktueller Bedrohung, das sich in erhöhter Schreckhaftigkeit und übermäßiger Wachsamkeit äußert (WHO, 2019). Entstehung Die Entwicklung einer PTBS wird durch ein Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren bestimmt. Genetische Dispositionen, neurobiologische Dysregulationen (z. B. Hyperaktivität der Amygdala, Dysfunktion der HPA-Achse), Coping-Stile, Vorerkrankungen sowie soziale Unterstützung oder deren Fehlen modulieren das Erkrankungsrisiko (Yehuda & Lehrner, 2018). Diagnose Traditionell erfolgt die Diagnos...

Big Five und künstliche Intelligenz – Sinn, Grenzen und Perspektiven

Das Persönlichkeitsmodell der Big Five gilt in der Psychologie als eines der robustesten und empirisch am besten abgesicherten Konzepte zur Beschreibung individueller Unterschiede (John, Naumann & Soto, 2008; McCrae & Costa, 2003). Die Dimensionen Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen erfassen stabile Dispositionen menschlichen Erlebens und Verhaltens, die in vielfältigen Kontexten als Prädiktoren für Leistung, Wohlbefinden oder soziale Interaktion untersucht wurden. Mit der zunehmenden Allgegenwart künstlicher Intelligenz (KI), insbesondere großer Sprachmodelle (LLMs) und darauf basierender Chatbots und Agenten, stellt sich die Frage, ob und in welchem Maße es sinnvoll ist, das Big-Five-Konzept auf diese Systeme zu übertragen. Zunächst gilt es zu klären, dass KI-Systeme wie LLMs keine psychologischen Entitäten im klassischen Sinne darstellen. Sie verfügen weder über ein Selbstkonzept noch über ein biologisch fundiertes...

Das kollektive Unbewusste im Netz – Von Freud über Jung zur digitalen Erweiterung

Die psychoanalytische Tradition, wie sie von Sigmund Freud begründet und von Carl Gustav Jung weiterentwickelt wurde, kreist um den Kern menschlicher Subjektivität: das Unbewusste. Während Freud das Unbewusste vor allem als Speicher verdrängter Wünsche, Konflikte und Affekte begriff (Freud, 1915/2000), erweiterte Jung diese Perspektive um die Idee eines „kollektiven Unbewussten“. Dieses sollte nicht nur individuelle Erfahrungen enthalten, sondern universale, archetypische Muster, die allen Menschen gemeinsam sind (Jung, 1959/2014). Im 21. Jahrhundert stellt sich die Frage, ob und inwiefern diese Konzepte auf die digitale Vernetzung unserer Gegenwart übertragbar sind. Das Internet bildet zunehmend nicht nur einen Raum für Kommunikation und Information, sondern einen emergenten Speicher kollektiver Erfahrung. Durch Plattformen, soziale Medien und algorithmische Strukturen entstehen Muster kollektiver Bedeutungsproduktion, die Jungsche Archetypen in digitaler Form spiegeln: Memes als Ve...

Wird unser Denken durch die Nutzung von KI verkümmern? Eine psychologische Analyse

Die zunehmende Integration Künstlicher Intelligenz (KI) in unseren Alltag hat nicht nur ökonomische und technologische Konsequenzen, sondern wirft auch grundlegende Fragen zur kognitiven Entwicklung des Menschen auf. Während KI-Systeme menschliches Denken unterstützen und entlasten können, besteht zugleich die Befürchtung, dass unser Denken durch ihre Nutzung langfristig verkümmern könnte. Diese Sorge berührt zentrale psychologische Theorien zur Kognition, zum Lernen und zur Abhängigkeit von Werkzeugen. Aus kognitionspsychologischer Perspektive kann Denken als ein Prozess der Informationsverarbeitung verstanden werden, der auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Problemlösen und Urteilsbildung basiert (Anderson, 2010). Die Auslagerung dieser Funktionen an KI-Systeme birgt die Gefahr des „kognitiven Outsourcings“. Studien zum „Google-Effekt“ zeigen bereits, dass Menschen weniger Fakten im Gedächtnis behalten, wenn sie darauf vertrauen können, diese jederzeit online nachzuschlagen (Sparrow, Liu ...

Digitale Unsterblichkeit? Eine psychologische Analyse der Digital Afterlife-Industrie

Die digitale Transformation des Todes ist keine Science-Fiction mehr. Die sogenannte „Digital Afterlife“-Industrie verspricht Hinterbliebenen Trost durch digitale Abbilder Verstorbener, etwa in Form von Chatbots, Avataren oder virtuellen Gedenkräumen. Was einst Grabstein und Fotoalben leisteten, übernehmen heute KI-Systeme, die aus Textnachrichten, Sprachnachrichten und Social Media-Profilen rekonstruiert wurden. Diese Entwicklung wirft nicht nur technologische und ethisch-rechtliche Fragen auf, sondern berührt auch tiefgreifende psychologische Dimensionen: Wie verändert sich Trauer, wenn der Verstorbene nicht wirklich verschwindet? Was macht es mit unserer Identität, wenn unser digitales Selbst überdauert? Technologisch basiert die Digital Afterlife-Industrie auf Natural Language Processing (NLP), generativen KI-Modellen und multimodaler Datenaggregation. Systeme wie „Replika“ oder „HereAfter AI“ nutzen Chatverläufe, Videos und Tonaufnahmen, um digitale Repräsentanzen zu erschaffen,...

Fiktiver Dialog: Safety-I trifft Safety-II – Vier Perspektiven auf Sicherheit

In einem imaginären Konferenzraum treffen sich vier Fachleute – ein Pilot, ein Mitarbeiter eines Kernkraftwerks, ein Chemieingenieur und ein Psychologe – zu einer Diskussionsrunde über Safety-I und Safety-II. Die Debatte beginnt angeregt: Pilot: „Also ich komme aus der klassischen Safety-I-Welt. Sicherheit bedeutet für uns: Fehler vermeiden, Zwischenfälle analysieren und Maßnahmen ergreifen, um Wiederholungen zu verhindern. Alles ist darauf ausgelegt, Risiken zu kontrollieren.“ Kernkraftwerksmitarbeiter: „Das ist bei uns nicht anders. Unser gesamtes System basiert auf dem Prinzip: Wenn nichts passiert, ist das gut. Jede Abweichung ist ein potenzielles Risiko. Wir leben von Prävention, Redundanz und dem Worst-Case-Denken.“ Chemieingenieur: „Stimmt – bei uns gibt es kaum Spielraum für Experimente. Unsere Sicherheitsphilosophie basiert auf dem Ausschluss von Variabilität. Der Gedanke, dass Menschen kreativ mit Problemen umgehen, ist uns eher suspekt. Die Prozesse müssen laufen, wie ...

Der Broken-Windows-Effekt – Wie Unordnung das Verhalten formt

Der Broken-Windows-Effekt beschreibt das sozialpsychologische Phänomen, dass bereits geringfügige Anzeichen von Verwahrlosung oder Normverletzung in der Umwelt – wie z. B. zerbrochene Fensterscheiben, Graffiti oder Müll – das Verhalten von Menschen nachhaltig beeinflussen und weitere Regelverstöße begünstigen. Die Metapher geht auf eine Hypothese von Wilson und Kelling (1982) zurück, die später in empirischen Studien von Kees Keizer und Kolleg:innen an der Universität Groningen überprüft und bestätigt wurde (Keizer, Lindenberg & Steg, 2008). Im Kern beschreibt der Effekt einen kognitiven Rückkopplungsprozess : Sichtbare Zeichen von Regelverstößen signalisieren, dass soziale Normen in einem bestimmten Raum nicht durchgesetzt werden – was wiederum die Bereitschaft erhöht, selbst gegen Regeln zu verstoßen. In einem der bekanntesten Experimente der niederländischen Forschungsgruppe wurde ein Briefkasten untersucht: Sobald Graffiti in der Umgebung zu sehen waren, stieg die Wahrscheinli...

Endurance. Terra Nova. Fram. Drei Schiffe – Drei Führungsstile – Eine Psychologie der Extremsituation

Ein psychologischer Vergleich dreier historischer Antarktisexpeditionen – Ernest Shackleton, Robert Falcon Scott und Roald Amundsen – bietet ein ebenso dramatisches wie instruktives Tableau für Führungsverhalten unter extremen Bedingungen. Jede dieser Expeditionen spiegelt unterschiedliche Persönlichkeiten, Zielsetzungen, Führungsstile und psychologische Dynamiken wider. Sie zeigen, wie Teamführung, Entscheidungsverhalten, Risikomanagement und mentale Resilienz über Leben und Tod entscheiden können – und werfen damit auch die Frage auf, wie heutige Technologien wie Künstliche Intelligenz in vergleichbaren Lagen unterstützen oder scheitern könnten. Ernest Shackleton – Die Endurance -Expedition (1914–1917) Vita & Ziel: Shackleton, britischer Polarforscher mit Charisma und großem Ruf, hatte bereits an früheren Expeditionen teilgenommen. Ziel war die erste Durchquerung des antarktischen Kontinents. Rahmenbedingungen & Verlauf: Das Schiff Endurance fror im Weddellmeer ein und ...

Psychologische Anforderungen an die Mensch-Maschine-Interaktion im Lichte der neuen EU-Maschinenverordnung (Verordnung (EU) 2023/1230)

Die neue EU-Maschinenverordnung (Verordnung (EU) 2023/1230) markiert einen Paradigmenwechsel in der sicherheitsgerichteten Regulierung technischer Systeme. Erstmals wird der psychologischen Dimension der Mensch-Maschine-Interaktion in einem europäisch verbindlichen Rechtsrahmen explizit Rechnung getragen. Dies betrifft insbesondere KI-gestützte, adaptive oder autonome Maschinen, deren Verhalten nicht nur deterministisch, sondern kontextsensitiv und lernfähig ist. Die Verordnung tritt am 20. Januar 2027 in Kraft und ersetzt die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Anders als ihr Vorgänger hat sie unmittelbare Gültigkeit in allen EU-Mitgliedstaaten und verpflichtet Hersteller, Inverkehrbringer und Betreiber gleichermaßen. Neben klassischen Aspekten wie CE-Kennzeichnung, Konformitätsbewertung und Gefährdungsanalyse rückt sie neue Felder in den Fokus: digitale Betriebsanleitungen, sicherheitskritische Software, KI-basierte Entscheidungsunterstützung sowie Cybersecurity. Zentral ist dabei die ...

Douglas Adams’ humorvolle „Three Rules for Technology“

Douglas Adams’ humorvolle „Three Rules for Technology“ bieten einen tiefgründigen Einblick in die psychologischen Mechanismen der Technikakzeptanz. Diese Regeln beschreiben, wie Menschen Technologien je nach ihrem Alter unterschiedlich wahrnehmen: Alles, was bei der Geburt existiert, wird als normal und selbstverständlich angesehen. Technologien, die zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr entstehen, gelten als aufregend und revolutionär. Alles, was nach dem 35. Lebensjahr erfunden wird, wird als unnatürlich empfunden. Diese Beobachtungen spiegeln sich in der Einführung des Mobilfunks wider. In den 1990er Jahren wurde Mobilfunk zunächst mit Skepsis betrachtet, insbesondere wegen gesundheitlicher Bedenken hinsichtlich elektromagnetischer Felder. Medienberichte über mögliche Gesundheitsrisiken und Proteste gegen Mobilfunkmasten waren weit verbreitet. Mit der Zeit jedoch wurde Mobilfunk in den Alltag integriert und als selbstverständlich akzeptiert, insbesondere von jüngeren Gene...

Gefühlte Risiken – Wie kulturelle Deutungsmuster unsere Technikakzeptanz prägen: Warum manche Technologien gehypt, andere demonisiert werden

Die Einführung neuer Technologien ist nicht nur ein technischer oder wirtschaftlicher Vorgang, sondern stets auch ein psychologischer und kultureller Prozess. Ob eine Technologie als vielversprechender Fortschritt oder bedrohlicher Eingriff wahrgenommen wird, hängt dabei weniger von objektiven Risikodaten als vielmehr von individuellen Deutungsmustern und kollektiven Wahrnehmungen ab. Diese „gefühlten Risiken“ beeinflussen maßgeblich die öffentliche Akzeptanz und können sich selbst in hochentwickelten Gesellschaften dramatisch unterscheiden – wie die Beispiele Mobilfunk und Kernenergie eindrucksvoll belegen. Psychologisch gesehen unterliegt die menschliche Risikowahrnehmung kognitiven Verzerrungen, wie sie in der Risikoforschung vielfach belegt sind (Slovic, 1987; Fischhoff et al., 1978). Menschen tendieren dazu, Risiken als bedrohlicher einzuschätzen, wenn sie neu, unsichtbar oder fremdbestimmt erscheinen – Merkmale, die viele moderne Technologien erfüllen. Hinzu kommt eine affektive ...