In der Unternehmenspraxis ist zu beobachten, dass manche Manager digitale Tools, Beratungsangebote oder Methoden wie Trophäen sammeln – sie engagieren nacheinander namhafte Beratungsfirmen, Produktivitätscoaches und nun auch KI-Anwendungen wie ChatGPT. Diese Maßnahmen bleiben oft stückwerkhaft und werden nicht in ein konsistentes Führungs- oder Transformationsverständnis integriert. Das Resultat sind Buzzwords statt echter Veränderung: Immer neue Initiativen werden gestartet, ohne dass ein roter Faden erkennbar ist. Warum aber greifen manche Führungskräfte ständig nach dem neuesten „Heilsbringer“? Aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht lassen sich verschiedene psychologische Mechanismen und organisationale Faktoren identifizieren, die dieses Verhalten erklären. Dazu zählen u.a. Statusstreben und Selbstwertregulation, Angst vor Kontrollverlust, symbolische Politik, geringe Selbstwirksamkeit, Führungsunsicherheit und externe Steuerung. Auch die Organisationskultur, der Stand der digitalen Reife und die Qualität der Führungskräfteentwicklung beeinflussen, ob Führungspersonen zu solchem Methoden-Hopping neigen. Im Folgenden beleuchten wir diese Aspekte aus motivations-, macht-, kultur- und transformationspsychologischer Perspektive und verweisen dabei auf aktuelle Studien und Theorien.
Statusstreben und SelbstwertregulationStatusverhalten spielt eine erhebliche Rolle: Manche Manager nutzen neue Tools und Beratungsansätze als Statussymbole, um Kompetenz und Modernität zu demonstrieren. Ähnlich wie Konsumenten mit Luxusmarken ihren sozialen Status signalisieren, können Führungskräfte durch das Zurschaustellen der „neuesten“ Management-Methoden oder Tech-Gadgets ihre Stellung untermauern . Dieses Verhalten dient oft der Selbstwertregulation – das Sammeln von Zertifikaten, Tools oder prominenten Beraternamen gibt das Gefühl, auf der Höhe der Zeit zu sein und als Führungskraft dazuzugehören. Der Managementforscher Brad Jackson (1996) argumentiert, dass Management-Gurus und -Moden zwei Arten von Bedürfnissen von Managern ansprechen: Zum einen die sozial externen Anerkennungsbedürfnisse (Gurus legitimieren und feiern die Rolle des Managers nach außen), zum anderen interne Bedürfnisse nach Sinn und Orientierung . Die Verfolgung von Management-Moden kann demnach das Ego streicheln und Hoffnung vermitteln – was erklärt, warum Manager sich persönlich zu trendigen Tools hingezogen fühlen. Motivationspsychologisch betrachtet handelt es sich häufig um extrinsisch motiviertes Verhalten: Man springt auf den Trend auf, um von anderen als fortschrittlich wahrgenommen zu werden, weniger aus intrinsischer Überzeugung. Zugleich können auch narzisstische Neigungen eine Rolle spielen – narzisstische Führungskräfte betreiben verstärkt Impression Management zu eigenen Gunsten . Das öffentliche Vorweisen neuester Tools (ob tatsächlich effektiv eingesetzt oder nicht) kann also der Selbstdarstellung und Statussicherung dienen, vor Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten.
Angst vor Unsicherheit und Kontrollverlust
Ein weiterer innerer Mechanismus ist die Führungsunsicherheit: Gerade in Zeiten schnellen Wandels fühlen sich manche Manager überfordert und greifen nach jedem neuen Ansatz wie nach einem Strohhalm. Diese Unsicherheit kann auf geringe Selbstwirksamkeitserwartung zurückgehen – dem subjektiven Zweifel, komplexe Veränderungen aus eigener Kraft steuern zu können. Anstatt mit klarem Kompass zu führen, wird jeweils der neueste externe „Experte“ geholt oder das neueste Tool implementiert, in der Hoffnung, dass dieses die Lösung bringt. Psychologisch liegt hierin oft ein defensives Verhalten: Man will nichts falsch machen und versucht, durch Befolgung der aktuell angesagten Methode Kontrollverlust zu vermeiden. Paradoxerweise entsteht dadurch ein Aktionismus, der an Symptom-Bekämpfung erinnert, ohne Ursachen anzugehen. Carson und Kollegen (2016) zufolge können begrenzte kognitive Kapazität (Überforderung) und Defensivität wesentliche psychogene Einflussfaktoren für das blinde Adoptieren von Management-Fads sein . Insbesondere neurotische Tendenzen – wie Ängstlichkeit und geringe Stressresistenz – begünstigen ein sprunghaftes Aufgreifen jeder vermeintlichen Lösung . So zeigen unsichere Manager z.B. eine stärkere Neigung, neue Mode-Methoden zu übernehmen, wenn sie das Gefühl haben, dass die aktuelle Situation ansonsten außer Kontrolle geraten könnte.
Angst vor dem Verpassen (FOMO) spielt hier ebenfalls mit hinein: Aus Furcht, eine wichtige Entwicklung zu verpassen, springen manche Führungskräfte auf jeden Zug auf. In unsicheren Zeiten „verleiten verlockende Silver Bullets dazu, im Aktionismus nach schnellen Lösungen zu suchen“ – oft getrieben von der Sorge, sonst einen Vorteil zu verpassen . Die Fast Company-Autorin Michelle Gibbings (2024) beschreibt, dass achtsame Führungskräfte lernen müssen, FOMO zu widerstehen: Allzu leicht wirke der neueste von Beratungen propagierte Management-Fashion attraktiv, um sich von anderen abzuheben . Jedoch zeigt die Realität oft, dass diese Versprechen überzogen sind und die hochgelobten Benefits ausbleiben, was zu Veränderungs-Burnout und Aktionismus ohne nachhaltigen Nutzen führt . Führungspsychologisch entsteht also ein Teufelskreis: Unsicherheit und Kontrolldruck führen zur Adoption vieler externer Hilfsmittel – die aber mangels Integration wiederum zu Enttäuschung und noch geringerer Selbstwirksamkeit führen können.
Symbolpolitik und externe Steuerung
Viele dieser Tool-Implementierungen haben den Charakter von Symbolhandlungen. Ohne in ein umfassendes Transformationskonzept eingebettet zu sein, dienen sie primär der Außenwirkung – gegenüber Stakeholdern zu demonstrieren, dass man etwas tut. In der Organisationssoziologie wird dies als symbolisches Management beschrieben: Durch bestimmte Signale und Programme will das Management Legitimität erlangen, oft ohne substanzielle Verhaltensänderung. So kann das Engagement eines renommierten Beraters oder der Launch eines KI-Pilotprojekts nach außen den Anschein von Innovationsfähigkeit erwecken, obwohl intern wenig umgesetzt wird. Kieser (1997) zeigte, dass Management-Moden intern durchaus politische Funktionen erfüllen: Sie vereinfachen nicht nur die Konzeption von Veränderungsprojekten, sondern sind auch nützliche Werkzeuge in Machtspielen und lassen das Unternehmen nach Abschluss rational erscheinen . Mit anderen Worten: Das Einführung eines neuen „State-of-the-Art“-Tools kann dazu dienen, gegenüber Aufsichtsrat oder Öffentlichkeit Handlungsstärke zu demonstrieren – im Sinne von Symbolpolitik.
Solche symbolischen Adoptionen stehen häufig im Zusammenhang mit externem Druck. Organisationen imitieren neue Praktiken oft, um den Erwartungen von Investoren, Kunden oder Medien gerecht zu werden (institutionelle Isomorphie), selbst wenn intern die Überzeugung fehlt. Machtpsychologisch gesehen schützt dies das Management: Man zeigt Proaktivität und kann im Misserfolgsfall argumentieren, man habe ja die anerkannten Rezepte befolgt. Hier knüpft das Konzept der externen Steuerung an. Führungskräfte mit einem externen Locus of Control schreiben Erfolg und Misserfolg primär äußeren Umständen zu . Sie fühlen sich eher als Getriebene – z.B. der Markt „verlangt“ die neueste Agilitätsmethode, also führt man sie ein. Solche Manager neigen dazu, Verantwortung abzugeben und ihr Schicksal in die Hände externer „Wundermittel“ zu legen. Untersuchungen zeigen auch, dass Manager in riskanten Entscheidungssituationen bewusst Berater als Sündenböcke einsetzen, um im Falle von Fehlschlägen die Schuld abwälzen zu können . So fanden Aschauer et al. (2022) in einem Experiment mit Führungskräften, dass in wirtschaftlich guten Zeiten die Option, einen externen Ratgeber im Zweifel verantwortlich machen zu können, die Neigung erhöhte, solchen Rat anzunehmen . Anders gesagt: Wenn ein Scapegoat verfügbar ist, nutzen Manager diesen opportunistisch, um eigenes Risiko zu reduzieren . Dies erklärt, warum unsichere Führungskräfte gerne wechselnde Berater engagieren – unbewusst dient dies der Entlastung. Tritt keine Verbesserung ein, kann man auf den „ungeeigneten“ Coach oder das limitierte Tool verweisen und zum nächsten wechseln, anstatt eigenes Führungsverhalten zu hinterfragen. Insgesamt wird deutlich, dass das Sammeln von Methoden in vielen Fällen ein Ersatz für echten Wandel ist: Es werden Symbole des Fortschritts präsentiert (neue Tools, Programme), um den Anschein von Kontrolle und Modernität zu wahren, ohne sich den tieferliegenden Führungsproblemen stellen zu müssen.
Einfluss von Organisationskultur und digitaler Reife
Ob Führungskräfte zu solchem Verhalten neigen, hängt wesentlich vom organisatorischen Kontext ab. Eine organisationskulturelle Perspektive zeigt: In Unternehmen mit einer Kultur des Aktionismus oder hoher Hypesensibilität wird das ständig neu Initiieren von Trends geradezu belohnt. Beispielsweise begünstigen Kulturen, die hohes Risiko und ständigen Wandel propagieren, das Aufgreifen immer neuer Ideen – „Unternehmen mit Risikokultur sind ein fruchtbarer Boden für immer neue Ideen; wer hingegen in der Vergangenheit frustriert wurde, greift oft wechselnd zu verschiedenen Moden“ . Fehlt eine Kultur des Lernens und der Reflexion, verbleibt man in der Oberfläche der Veränderung. Kulturpsychologisch können auch Blame Culture und geringe Fehlertoleranz relevant sein: Wenn Manager Angst haben, für Fehler verantwortlich gemacht zu werden, tendieren sie dazu, sich hinter „anerkannten Methoden“ zu verstecken. Nach dem Motto: Man hat ja das neueste Best-Practice eingesetzt – wenn es dann scheitert, lag es eben an der Methode oder äußeren Umständen.
Auch der digitale Reifegrad der Organisation beeinflusst das Phänomen. In digital wenig reifen Unternehmen wird Technologieeinsatz oft punktuell und unsystematisch betrieben – etwa ein isoliertes KI-Projekt hier, ein agiles Tool dort – ohne ganzheitliche Strategie. Solche Firmen haben oft kurze Planungshorizonte und jagen Trends hinterher, anstatt digitale Initiativen mit der Kernstrategie zu verknüpfen. Demgegenüber zeichnen sich digital reife Organisationen durch einen längerfristigen Ansatz und Integration neuer Technologien in Prozesse und Kultur aus . Laut einer MIT/Deloitte-Studie richten reife Unternehmen ihr Vorgehen systemisch aus: Sie organisieren Arbeit interdisziplinär, fördern eine digital-mindset-geprägte Kultur und verzahnen Tech-Innovationen mit den Kernzielen . Ihre digitalen Strategien schauen weiter voraus (häufig 5+ Jahre) und verbinden Technologieeinführung mit der Entwicklung organisatorischer Fähigkeiten . In weniger ausgereiften Unternehmen dagegen dominieren Kurzfristdenken und isolierte Experimente, die selten skaliert werden . Das von uns betrachtete „Trophäen“-Verhalten tritt typischerweise eher in Letzteren auf – wo man vieles ausprobiert, aber nichts nachhaltig implementiert. Hier fehlt es oft an digitale Leadership: also Führungskräften, die Technologie nicht als Selbstzweck oder Imagefaktor sehen, sondern als Teil umfassender Transformation gestalten.
Schließlich spielt die Qualität der Führungskräfteentwicklung eine Rolle. Organisationen, die ihre Manager kontinuierlich in Selbstreflexion, Change-Management und Leadership Purpose schulen, stärken deren Selbstbewusstsein und innere Orientierung. Solche Führungskräfte sind weniger anfällig, jedem externen Trend hinterherzulaufen, weil sie einen eigenen Kompass und kritisches Urteilsvermögen entwickelt haben. Wo jedoch Leadership Development nur technisch-methodisch abläuft (z.B. reines Tool-Training ohne Persönlichkeitsentwicklung), bleiben Führungskräfte leichter unsicher bezüglich ihrer Identität und Führungsphilosophie. Transformationspsychologisch betrachtet benötigt echter Wandel eine intrinsische Veränderungsbereitschaft und oft auch persönliche Transformation der Führungskräfte – ein tieferes Umdenken jenseits der Implementation einzelner Tools. Fehlt diese innere Wandlungsarbeit, bleiben viele Initiativen oberflächlich (single-loop learning statt double-loop learning, nach Argyris). Die Folge ist nicht selten eine Change-Fatigue in der Belegschaft: Immer neue Programme führen zu Ermüdung, Zynismus und nur noch oberflächlicher Umsetzung . Mitarbeiter machen „die nächste Sau durchs Dorf“ dann nur noch halbherzig mit, da sie wissen, dass ohnehin bald wieder ein neuer Trend kommt. So unterminiert das Trophäen-Sammeln letztlich die Wirksamkeit der Führung und die Glaubwürdigkeit von Transformationen.
Fazit:
Das Phänomen, dass manche Manager Beratungen, Produktivitäts-Hacks und digitale Tools sammeln wie Trophäen, ist vielschichtig. Es wurzelt einerseits in individuellen psychologischen Dispositionen – Statusstreben, Selbstwertzweifel, Angst und Unsicherheit –, andererseits in organisationalen Rahmenbedingungen – Kulturen, die Aktionismus belohnen, und Strukturen, die keine echte Integration zulassen. Aus motivationspsychologischer Sicht dominieren extrinsische Antriebe (Beeindruckung anderer, Vermeidung von Negativbewertungen) über intrinsische Überzeugung. Machtpsychologisch wird deutlich, dass solche Manager Tools auch zur Machtsicherung und Verantwortungsdiffusion einsetzen. Kulturpsychologisch zeigt sich, wie wichtig ein lernförderliches Umfeld wäre, um statt Moden substanziellen Wandel zu betreiben. Und transformationspsychologisch offenbart sich: Es fehlt an tiefergehender Transformation im Denken dieser Führungskräfte – sie betreiben „Transformations-Theater“ mit ständig neuen Requisiten, anstatt an fundamentalen Veränderungen in Haltung und Verhalten zu arbeiten.
Die Implikationen sind klar: Organisationen sollten ihre Führungskräfteentwicklung darauf ausrichten, Selbstreflexion, Selbstwirksamkeit und einen inneren Wertekompass zu stärken. Führungskräfte brauchen Mut, auf bewährte Prinzipien zu setzen und nicht jedem Hype unkritisch nachzugeben. Ein kritischer Umgang mit Management-Moden kann erlernt werden – etwa durch Achtsamkeit gegenüber FOMO und durch Fokus auf das, was wirklich zählt . Auch strukturell ist anzusetzen: Statt zig paralleler Initiativen sollten Unternehmen eine klare Transformationsstrategie mit Prioritäten formulieren, an der neue Maßnahmen gespiegelt werden. Digitale Reife bedeutet nämlich gerade, dass man Technologie mit Bedacht wählt und nachhaltig verankert, anstatt eine „Tool-Landschaft“ ohne Plan aufzutürmen . Zusammenfassend gilt: Nachhaltige Führungstransformation erfordert Tiefgang – das Sammeln von Trophäen mag kurzfristig glänzen, doch es ersetzt kein konsistentes Führungsverständnis. Langfristig erfolgreicher sind jene Führungskräfte, die Authentizität über Show, Integrationsfähigkeit über Schnellschüsse und Lernkultur über Modetrends stellen.
Literatur und Quellen
- Abrahamson, E. (1996). Management fashion. Academy of Management Review, 21(1), 254–285. (Grundlagenwerk zu Management-Moden)
- Aschauer, F., Sohn, M., & Hirsch, B. (2022). How managers’ risk perceptions affect their willingness to blame advisors as scapegoats. European Management Journal, 40(4), 606–617 .
- Carson, K. D., Lanier, P., & Carson, P. P. (2016). Management Fad Adoption: An Exploration of Three Psychogenic Influences. Journal of Behavioral and Applied Management, 3(2) .
- Gibbings, M. (2024, Oktober 28). 6 strategies of mindful leaders who make a greater impact. Fast Company .
- Jackson, B. (1996). Re-engineering the Sense of Self: The Manager and the Management Guru. Journal of Management Studies, 33(5), 571–590 .
- Kieser, A. (1997). Rhetoric and myth in management fashion. Organization, 4(1), 49–74 .
- Kane, G. C. et al. (2017). Achieving Digital Maturity. MIT Sloan Management Review .
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