Die Klimapolitik ist in eine neue Phase eingetreten – eine Phase der Rückwärtsbewegung. Während die globale Durchschnittstemperatur 2025 den höchsten je gemessenen Wert erreicht und die wissenschaftliche Evidenz der anthropogenen Erderwärmung unbestritten ist (IPCC, 2023), zerfällt der gesellschaftliche Konsens über die Notwendigkeit entschlossenen Handelns. Was zunächst als Ermüdung oder „Fatigue“ erschien, entpuppt sich zunehmend als Backlash: eine aktive Gegenbewegung, gespeist aus Enttäuschung, Reaktanz, Misstrauen und Überforderung. Psychologisch betrachtet erleben wir keine bloße Apathie, sondern eine kollektive Regression – eine Rückkehr zu einfacheren Erklärungen und identitätsstabilisierenden Abwehrmechanismen gegenüber der als überwältigend empfundenen Klimakrise (Klein, 2021).
Dieses Phänomen lässt sich weder allein durch geopolitische Ereignisse wie Pandemie oder Krieg erklären, noch durch ökonomische Zyklen. Vielmehr zeigt sich, dass der Klima-Backlash tief in den Strukturen moderner Demokratien und in den psychischen Dispositionen spätmoderner Individuen verankert ist. Im Folgenden werden die zentralen psychosozialen Mechanismen und kulturellen Dynamiken dieser Entwicklung analysiert.
1. Vom Erfolg zur Erschöpfung: Das Paradox des Fortschritts
Die Jahre 2018 bis 2021 markierten den Höhepunkt der globalen Klimabewegung. Unter dem Druck von Fridays for Future, den Protesten von Extinction Rebellion und der breiten medialen Mobilisierung schien das ökologische Bewusstsein einen Kipppunkt erreicht zu haben (Nisbet, 2020). Doch der darauf folgende Rückschwung legt ein paradoxes Muster offen, das in der Sozialpsychologie als Erwartungs-Enttäuschungs-Effekt bekannt ist: Je höher die kollektiven Erwartungen an die Selbstwirksamkeit politischer Bewegungen, desto stärker die Ernüchterung, wenn strukturelle Realität und psychologische Erwartung auseinanderfallen (Festinger, 1957).
Die Vorstellung, technologische Innovation könne die ökologische Krise weitgehend kompensieren, erzeugte eine moralische Entlastungsfiktion – ein gesellschaftliches „Unmerklichkeitsversprechen“. Als dieses scheiterte, entstand ein kognitives Dissonanzerleben, das nicht durch Handlung, sondern durch Abwehr gelöst wurde. Nach Lazarus (1991) ist die Abwehr eine klassische Reaktion auf wahrgenommene Überforderung: Statt Verhaltensänderung erfolgt kognitive Reinterpretation. Der Rückzug ins Leugnen oder ins aggressive Abwerten der Klimapolitik ist somit weniger Ausdruck von Ignoranz als von psychologischer Selbstregulation.
2. Der narzisstische Kontrakt der Demokratie
Das demokratische Selbstverständnis westlicher Gesellschaften beruht auf der Annahme, dass rational informierte Individuen im Sinne des Gemeinwohls handeln, sobald sie über Risiken und Fakten aufgeklärt sind (Habermas, 1981). Dieses aufklärerische Menschenbild hat sich jedoch als Illusion erwiesen. Erkenntnisse der Verhaltensökonomie (Tversky & Kahneman, 1974) und der Moralpsychologie (Haidt, 2012) zeigen, dass Entscheidungen primär durch Emotionen, Identität und Gruppenzugehörigkeit bestimmt werden.
Die Klimakommunikation hat diese psychologische Grundstruktur lange ignoriert. Statt intrinsische Werte (z. B. Fürsorge, Zukunftsverantwortung) zu aktivieren, setzte sie auf moralische Appelle und kognitive Überzeugungsarbeit. Die Folge war ein „narzisstischer Kontrakt“ (Illouz, 2020): Politik und Öffentlichkeit begegneten sich in der stillen Übereinkunft, dass Veränderung möglich sein müsse, ohne Lebensstil, Komfort oder Status zu berühren. Als dieses implizite Versprechen gebrochen wurde, reagierten viele Bürgerinnen und Bürger mit Reaktanz (Brehm & Brehm, 1981) – einem psychologischen Widerstand gegen erlebte Freiheitsbeschränkung. Diese Reaktanz bildet heute die emotionale Grundlage des Klima-Backlashs.
3. Moralische Überhitzung und empathische Erschöpfung
Parallel dazu lässt sich ein Phänomen beobachten, das Paul Slovic (2010) als psychic numbing bezeichnet: die abnehmende emotionale Reaktionsfähigkeit auf fortgesetzte Katastrophenmeldungen. Je häufiger apokalyptische Szenarien kommuniziert werden, desto stärker stumpft das Publikum ab. Die Klimadebatte der 2020er Jahre ist ein Musterbeispiel für diese Dynamik: Die ständige moralische Dringlichkeit („1,5-Grad-Ziel oder Katastrophe“) erzeugte zunächst Alarm, dann Überforderung und schließlich Zynismus.
Diese empathische Erschöpfung (Figley, 1995) traf paradoxerweise vor allem jene, die das Thema über Jahre getragen hatten: Aktivistinnen, Wissenschaftler, Lehrkräfte, Journalistinnen. Der öffentliche Diskurs verlor so seine moralischen Multiplikatoren. Emotionale Überlastung wurde zur kollektiven Schweigezone.
4. Polarisierung und die Logik der Gegenbewegung
Soziale Medien verstärken diese Dynamik strukturell. Algorithmen belohnen emotionale Erregung und Bestrafung moralischer Abweichung (Sunstein, 2017). In dieser Logik wurde Klimapolitik zunehmend zu einem kulturellen Identitätsmarker – weniger eine Sachfrage als ein Ausdruck von Zugehörigkeit oder Abgrenzung. Die Kommunikationswissenschaft spricht hier von affektiver Polarisierung (Iyengar et al., 2019).
Während konservative Milieus in den USA und Europa den Klimadiskurs als Ausdruck urbaner Überheblichkeit rahmten („Verbotskultur“, „Wohlstandsmoral“), entwickelten progressive Milieus eine Tendenz zur moralischen Selbstüberhöhung. Beide Seiten stabilisierten sich gegenseitig in einem emotionalen Feedback-Loop. Aus der moralischen Dramatik der 2010er wurde die moralische Dialektik der 2020er.
5. Der Verlust der Zukunft als psychologische Schlüsselerfahrung
Der vielleicht tiefste Grund für den Klima-Backlash liegt nicht in Politik oder Kommunikation, sondern in einer existenziellen Wahrnehmung: dem schwindenden Vertrauen in die Zukunft. Studien zeigen, dass das Vertrauen in gesellschaftlichen Fortschritt in westlichen Demokratien seit 2015 dramatisch abgenommen hat (Inglehart, 2021). Klimakrise, Pandemie, Krieg und soziale Ungleichheit verschränken sich in einem gemeinsamen Gefühl kollektiver Erschöpfung.
Diese Zukunftsangst wird nicht produktiv verarbeitet, sondern defensiv externalisiert – durch Zynismus, Nostalgie oder Verschwörungsdenken (Douglas et al., 2019). Der Klima-Backlash ist insofern Teil einer umfassenderen mentalen Krisenerfahrung moderner Gesellschaften: eines Übergangs von der expansiven zur defensiven Moderne.
6. Wege aus der Regression: Neue Ansätze für Klimakommunikation und Politik
Eine zukunftsfähige Klimapolitik muss daher psychologische Realitäten stärker berücksichtigen. Drei Richtungen zeichnen sich ab: Erstens eine transformative Kommunikation, die nicht nur informiert, sondern Sinn anbietet – also eine narrative Rahmung, die Selbstwirksamkeit, Gemeinschaft und Hoffnung betont (Stoknes, 2015). Zweitens eine Politik der partizipativen Autonomie, die Bürger als Mitgestaltende begreift und so Reaktanz minimiert. Drittens eine emotionale Ökologie des politischen Diskurses, die das Spannungsverhältnis zwischen Dringlichkeit und Akzeptanz bewusst moderiert.
Die Klimapolitik der Zukunft wird weniger technokratisch, sondern psychologisch resilient sein müssen. Sie braucht nicht nur CO₂-Budgets, sondern auch Emotionshaushalte.
Fazit
Der aktuelle Klima-Backlash ist keine Randerscheinung, sondern Ausdruck einer tiefen Krise der modernen Subjektivität und politischen Kultur. Er zeigt, dass ökologische Transformation nicht gegen die Psyche, sondern nur mit ihr gelingen kann. Die Psychologie des Klimas ist damit zur zentralen Disziplin einer gelingenden Zukunft geworden – nicht als Ersatz für Technologie oder Ökonomie, sondern als deren anthropologische Grundlage.
Literatur
Brehm, J. W., & Brehm, S. S. (1981). Psychological reactance: A theory of freedom and control. Academic Press.
Douglas, K. M., Sutton, R. M., & Cichocka, A. (2019). The psychology of conspiracy theories. Current Directions in Psychological Science, 28(6), 538–542.
Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance. Stanford University Press.
Figley, C. R. (1995). Compassion fatigue: Coping with secondary traumatic stress disorder in those who treat the traumatized. Brunner/Mazel.
Habermas, J. (1981). Theorie des kommunikativen Handelns. Suhrkamp.
Haidt, J. (2012). The righteous mind: Why good people are divided by politics and religion. Pantheon.
Illouz, E. (2020). Das Ende der Liebe: Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit. Suhrkamp.
Inglehart, R. (2021). Religion’s sudden decline: What’s causing it, and what comes next? Oxford University Press.
IPCC. (2023). Climate Change 2023: Synthesis Report. Intergovernmental Panel on Climate Change.
Klein, N. (2021). How to change everything: The young human’s guide to protecting the planet and each other. Simon & Schuster.
Lazarus, R. S. (1991). Emotion and adaptation. Oxford University Press.
Nisbet, M. C. (2020). Strategic framing and social change: The evolution of climate communication. Oxford Research Encyclopedia of Climate Science.
Slovic, P. (2010). Feeling and risk: The role of affect in decision making. Risk Analysis, 30(2), 190–202.
Stoknes, P. E. (2015). What we think about when we try not to think about global warming: Toward a new psychology of climate action. Chelsea Green Publishing.
Sunstein, C. R. (2017). #Republic: Divided democracy in the age of social media. Princeton University Press.
Tversky, A., & Kahneman, D. (1974). Judgment under uncertainty: Heuristics and biases. Science, 185(4157), 1124–1131.
