Montag, 10. Januar 2022

Unbestimmtheit und Komplexität

Globalisierung und Digitalisierung führen dazu, dass die Unbestimmtheit und Komplexität unsere Welt immer weiter zunimmt. Unbestimmte und komplexe Lagen weisen eine Reihe von Merkmalen auf, die in der Literatur (Dörner, 1979, 1989; Dörner, 1983; Funke, 2003; Hussy, 1998; Schaub, 1993) als Faktoren genannten werden, die Menschen besondere Schwierigkeiten beim Handeln und Entscheiden  und damit indirekt zu Denk- und Entscheidungsfehlern führen können.


Komplexität: Es gibt eine große Anzahl von Variablen, die alle wichtig sind und beachtet werden müssen. Da das in begrenzter Zeit nicht möglich ist, sollten Einsatz- und Führungskräfte im Krisenmanagement auswählen und Schwerpunkte bilden. Mögliche Denk- und Entscheidungsfehler resultieren aus dem inadäquaten Umgang mit der Schwerpunktbildung (entweder zu rigide an einem Schwerpunkt festhalten oder keinen Schwerpunkt bilden).

Vernetztheit: Die Variablen einer Lage beeinflussen sich wechselseitig. In einem vernetzten System kann kaum nur eine Sache gemacht werden. Ein vernetztes System gleicht einer Sprungfedermatratze. Wird die Matratze an einer Stelle bewegt, dann wackelt es an vielen anderen Stellen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, beim Entscheiden Neben- und Fernwirkungen zu beachten. Mögliche Denk- und Handlungsfehler resultieren vor allem aus dem Nichtbeachten von Neben- und Fernwirkungen und dem ausschließlichen Berücksichtigen der Hauptwirkung (von der Weth, 1990).

Dynamik: Ein eigendynamisches System verändert sich selbst auch ohne direkte Eingriffe des Entscheiders. Die Dynamik ergibt sich oft aus der Vernetztheit, z.B. wenn diese aus positiven und negativen Rückkopplungen besteht. Aus der Eigendynamik entsteht häufig Zeitdruck und die Notwendigkeit der Prognose der Zukunft. Mögliche Denk- und Handlungsfehler resultieren aus keinen oder falschen Prognose. So werden typischerweise exponentielle Entwicklungen nur linear extrapoliert (Dörner, 1981; Dörner, 1983; Fenk & Vanoucek, 1992; Preussler, 1985).

Intransparenz: Die meisten komplexen Lagen sind nicht vollständig durchschaubar. Es gibt oft Bestandteile der Situation, die eigentlich beachtet werden müssten, die aber nicht zugänglich sind. Der Entscheider muss sich ein Modell der Situation bilden und ist auf die Verwendung von Indikatoren angewiesen. Mögliche Denk- und Handlungsfehler resultieren aus der Verwendung falscher Indikatoren, oder zu stark simplifizierter Modelle (Brunner & Stäudel, 1992; Ossimitz, 2000).

Polytelie: Das Handeln ist in der Regel auf mehr als ein Ziel hin ausgerichtet. In komplexen Lagen sollten und werden z.B. oft humanitäre, ökonomische, ökologische aber auch persönliche Ziele gleichzeitig verfolgt. Viele dieser Ziele sind nicht miteinander verträglich, d.h. sie widersprechen sich. Aus dieser Tatsache leitet sich die Notwendigkeit ab, Ziele zu balancieren und zu hierarchisieren. Ziele in komplexen Lagen können oft nur vage formuliert werden, z.B. als Komparative; etwas soll besser, schneller, günstiger werden (dialektische Probleme. s.h. Dörner, 1987). Wie das zu erreichende Ziel konkret aussehen soll, ist häufig unklar. Unklare Ziele erschweren das Handeln, da sich aus ihnen kaum ergibt, welche Maßnahmen zielführend sind und welche nicht. Der Entscheider sollte seine Ziele konkretisieren und Teil- und Zwischenziele bilden (Newell & Simon, 1963; Oesterreich, 1983; Resch & Oesterreich, 1987; von der Weth, 1990). Mögliche Denk- und Handlungsfehler resultieren u.a. daraus, dass Ziele nicht konkretisiert werden, und damit Zielwidersprüche und -inkompatibilitäten nicht erkannt werden.

Neuartigkeit: Viele Bereiche in komplexen Lagen sind, zumindest zum Teil, neuartig. Die Einsatz- und Führungskraft im Krisenmanagement kennt ihre Strukturen nicht und sollte versuchen, etwas darüber in Erfahrung zu bringen. Aus der Neuartigkeit eines Bereichs ergibt sich die Anforderung zur Erkundung desselben, zur Hypothesenbildung und zur Exploration. Mögliche Problemlösefehler resultieren aus dem Nichterkennen der Neuartigkeit und aus einer reduzierten Hypothesenbildung (Harzl, 1994; Keinath, 2003; Krems & Bachmaier, 1991).


(Literatur und Referenzen beim Autor: harald.schaub@googlemail.com)