Das Eigenleben der Bürokratie – Eine psychologische Betrachtung organisationaler Selbstreferenzialität
In der Alltagsrhetorik steht Bürokratie sinnbildlich für Schwerfälligkeit, Unflexibilität und Formalismus. Doch jenseits der Klischees lässt sich das „Bürokratie-Ungetüm“, wie es in der DIE ZEIT (45/2025) im Artikel Hallo, hört mich jemand? am Beispiel der Bundeswehr beschrieben wird, als psychologisch faszinierendes Phänomen verstehen. Es ist das Produkt eines über Jahre gewachsenen Zusammenspiels aus Struktur, Kultur und Mentalität – ein System, das sich selbst stabilisiert, auch wenn seine Funktion längst hinter seiner Form zurücktritt. Max Weber (1922) sah in der Bürokratie ursprünglich die rationalste Organisationsform moderner Gesellschaften: Regelgebundenheit, Arbeitsteilung, Aktenmäßigkeit und Hierarchie sollten Willkür vermeiden und Verlässlichkeit sichern. Doch genau diese Prinzipien bergen den Keim der Erstarrung. Robert K. Merton (1940) beschrieb das Paradox als „trained incapacity“ – eine erlernte Unfähigkeit, die aus übermäßiger Regelbefolgung entsteht. Mitarbe...