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Es werden Posts vom September, 2025 angezeigt.

Die psychologische Konstruktion von Bedrohung: Kognitive Verarbeitung und soziale Wirklichkeit sicherheitspolitischer Narrative

In modernen Gesellschaften ist die Wahrnehmung von Bedrohungen ein zentrales Moment politischer Steuerung und gesamtstaatlicher Sicherheitsvorsorge. Während Risiken mithilfe quantitativer Modelle berechnet werden können, ist Bedrohung immer auch ein psychologisches und soziales Konstrukt. Die Kognitionspsychologie, die Sozialpsychologie und die Politikwissenschaft haben wiederholt gezeigt, dass Bedrohung nicht einfach „da draußen“ existiert, sondern durch Wahrnehmung, Emotion, Sprache und Narrative erzeugt, verstärkt oder abgeschwächt wird (Slovic, 2000; Entman, 1993). Diese Konstruktion hat tiefgreifende Folgen: Sie beeinflusst individuelle Entscheidungsprozesse, das Verhalten von Organisationen und die Legitimation staatlicher Maßnahmen. Ziel dieses Beitrags ist es, die psychologischen Mechanismen der Bedrohungskonstruktion zu beleuchten und ihre Bedeutung für die Sicherheitsvorsorge zu diskutieren. Risiko versus Bedrohung Ein zentraler Unterschied liegt zwischen Risiko und Bedroh...

Zukunftssicherung statt Klimaschutz: Psychologische Perspektiven auf sprachliche Rahmung ökologischer Verantwortung

Die öffentliche Diskussion rund um den Klimawandel wird seit Jahrzehnten von Begriffen wie „Klimaschutz“ dominiert. Dieser Terminus hat sich in politischen Programmen, medialen Diskursen und Alltagsgesprächen etabliert. Gleichwohl ist aus psychologischer Sicht zu fragen, ob der Begriff seine intendierte Wirkung entfaltet oder ob er kognitive Verzerrungen und semantische Missverständnisse hervorruft. „Klimaschutz“ suggeriert, dass das Klima als stabiles, externes Objekt geschützt werden könne. Dies blendet aus, dass es sich um ein komplexes, dynamisches System handelt, das sich permanent wandelt – unabhängig menschlicher Eingriffe. Was der Begriff verschleiert, ist die zentrale Rolle des Menschen: Nicht das Klima bedarf des Schutzes, sondern die Lebensgrundlagen der Menschheit. In der kognitiven Linguistik ist bekannt, dass sprachliche Rahmungen („Frames“) die Interpretation von Sachverhalten strukturieren (Lakoff, 2014). Wird von „Klimaschutz“ gesprochen, liegt der Fokus auf einem abs...

Posttraumatische Belastungsstörung: Entstehung, Behandlung, berufsbezogene Besonderheiten und neue Technologien

Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) definiert als ein Syndrom, das nach der Exposition gegenüber einem extrem bedrohlichen oder schrecklichen Ereignis entsteht. Typisch sind das Wiedererleben des Traumas in Form von belastenden Erinnerungen, Albträumen oder Flashbacks, das anhaltende Vermeiden traumaassoziierter Gedanken, Gefühle und Situationen sowie ein anhaltendes Gefühl von aktueller Bedrohung, das sich in erhöhter Schreckhaftigkeit und übermäßiger Wachsamkeit äußert (WHO, 2019). Entstehung Die Entwicklung einer PTBS wird durch ein Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren bestimmt. Genetische Dispositionen, neurobiologische Dysregulationen (z. B. Hyperaktivität der Amygdala, Dysfunktion der HPA-Achse), Coping-Stile, Vorerkrankungen sowie soziale Unterstützung oder deren Fehlen modulieren das Erkrankungsrisiko (Yehuda & Lehrner, 2018). Diagnose Traditionell erfolgt die Diagnos...

Big Five und künstliche Intelligenz – Sinn, Grenzen und Perspektiven

Das Persönlichkeitsmodell der Big Five gilt in der Psychologie als eines der robustesten und empirisch am besten abgesicherten Konzepte zur Beschreibung individueller Unterschiede (John, Naumann & Soto, 2008; McCrae & Costa, 2003). Die Dimensionen Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Offenheit für Erfahrungen erfassen stabile Dispositionen menschlichen Erlebens und Verhaltens, die in vielfältigen Kontexten als Prädiktoren für Leistung, Wohlbefinden oder soziale Interaktion untersucht wurden. Mit der zunehmenden Allgegenwart künstlicher Intelligenz (KI), insbesondere großer Sprachmodelle (LLMs) und darauf basierender Chatbots und Agenten, stellt sich die Frage, ob und in welchem Maße es sinnvoll ist, das Big-Five-Konzept auf diese Systeme zu übertragen. Zunächst gilt es zu klären, dass KI-Systeme wie LLMs keine psychologischen Entitäten im klassischen Sinne darstellen. Sie verfügen weder über ein Selbstkonzept noch über ein biologisch fundiertes...